Wren: „In der Parallelwelt kannst du gleichzeitig Opfer UND Täter sein, gleichzeitig Systemkonform UND Verräter…“
Gavin: „Terrorist UND Freiheitskämpfer, das ist immer die Frage, von Star Wars, bis …“
Wogegen können wir uns überhaupt auflehnen – hier, in diesem freiheitsliebenden, offenen Land?
Ein repressives Staatssystem entsteht langsam. Menschen bereiten den Weg für neue Regelwerke, Gebote, Verbote. Sie schleichen sich in die Sprache, gestalten Gedanken, formen Handlungen. Mit langem Atem.
Das Team der Jungen NKO hat mit VOGELFREI ein neues Musiktheaterstück kreiert, in dem ein solches System schon Realität ist. Neue Gesetze bestimmen neue Regeln des Miteinander. Während am Anfang noch ungläubiges Staunen über ein vermeintlich absurdes Musikverbot herrscht, fordert die Realität bald ernsthafte Konsequenzen.
Die Idee zum Stück entstand Anfang 2024 allerdings auf der anderen Seite: nicht bei herrschenden Systemen, sondern beim Widerstand gegen soziale Ungerechtigkeit und Willkür in alten Stoffen wie Antigone, Robin Hood, den Räubern und Michael Koolhaas.
Gemeinsam mit dem Kreativteam um Bjørn de Wildt, Yuval Halpern und Vera Schindler setzte sich der neue Jahrgang der Jungen NKO mit Widerstandsstrukturen auseinander und tauchte tief in die Materie ein. Im Rahmen der Einladung zum 32. Bundesjugendtreffen der Theater-Jugendclubs reisten die jungen Künstlerinnen nach Würzburg und Dresden, wo sie auch im Stadtraum nach Zeichen von Widerstand suchten – gefunden wurden viele Gegenstimmen zu DDR-Repressalien und NS-Diktatur.In intensiven Proben setzten sich die jungen Darstellerinnen mit den ersten Songs auseinander, probierten Figuren aus und an und probten im Sommer den musikalischen Aufstand in Form eines Flashmobs auf dem Alfred-Scholz-Platz nahe der Neuköllner Oper.
Das erfundene Musikverbot in VOGELFREI hat viele reale Entsprechungen in Ländern wie Iran und Afghanistan, wo Musizieren und Singen seit Jahren weitgehend verboten sind, vor allem für Frauen. Im August 2024 verschärfte sich in Afghanistan die Lage der Frauen noch zusätzlich durch das „Tugend“-Gesetz, das ihnen nun auch das öffentliche, laute Sprechen verboten hat.
Auch in Deutschland beobachten wir ein Erstarken demokratiefeindlicher Kräfte: Zeichen von Vielfalt und Freiheit werden stumm geschaltet. So haben Unbekannte im Oktober 2024 in Zeitz sämtliche in Andenken an die Opfer des Nationalsozialismus verlegten Stolpersteine gestohlen. In Neubrandenburg wurde das Hissen der Regenbogenfahne verboten – von offizieller Stelle.
Menschen, die von der für alle geltenden Meinungsfreiheit profitieren verbreiten lautstark die Meinung, man dürfe seine Meinung gar nicht mehr sagen. Dabei sind es tatsächlich nur verfassungsfeindliche Inhalte, die sie nicht äußern dürfen. Sie dürften sogar beleidigende, diffamierende oder verletzende Aussagen verbreiten – und sollten sich dann nicht wundern, wenn es auch Gegenstimmen gibt.
Eine aktivere Beschäftigung mit diesem freiheitsliebenden, offenen Land scheint mehr als zeitgemäß – und dringend notwendig.
Stine: „Ich werde nicht so werden wie sie. Keine Gewalt, um keinen Preis.“
Falk: „Stell dir vor, du übst keine Gewalt aus, du tust nichts, und wirst trotzdem zum Täter. Mitläufer sein ist Täter sein, Stine.“
Text von Änne-Marthe Kühn