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Programmheft Subotnik

Beruf: Strafverteidigerin –
Über Recherche und Vorgespräche zum Stück

Die junge Anwältin Seyma hat für einen – in dem Fall: nachgewiesenen – Mörder und Menschenhändler kraft ihrer engagierten Verteidigung einen Freispruch erzielen können. Dabei plagen sie jedoch während und insbesondere nach der Verhandlung deutliche Gewissensbisse – schließlich ist am Ende ein Mörder frei und eine Zeugin tot. Schenkt sie zu Unrecht ihrem Gewissen kein Gehör? Oder sind ihre Gewissensprobleme fehl am Platze?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, haben wir im Vorfeld Gespräche mit drei Strafverteidiger*innen geführt und diese aufgezeichnet. In Teilen sind sie als Originalstimmen, also als dokumentarische Ebene, in das Stück eingeflossen; vor allem aber gaben sie uns einen spannenden Einblick in den Beruf der Strafverteidigerin und den damit verbundenen Fragen, Problemen, Herausforderungen – einen Einblick nicht zuletzt in die Tiefen unseres Rechtssystems.

Das Grundthema von Seyma, nämlich das Dilemma zwischen Rechtssystem und Gewissensbissen, begegnet Strafverteidigerinnen bei so ziemlich jeder Party, sobald sie oder er den eigenen Beruf erwähnt, und zwar mit der sogenannten Cocktailfrage. Diese lautet: Wie kannst du es mit deinem Gewissen vereinbaren, einen Mörder oder Kinderschänder zu verteidigen? In allen drei Gesprächen war die Antwort klar: Kein Gewissensproblem. Das hat allerdings nicht etwa mit einem fehlenden Gewissen zu tun, sondern mit einem tief reflektierten Verständnis von Rechtsstaatlichkeit. Wir leben hier, anders als es in Diktaturen der Fall ist, in einem Rechtsstaat. Während Moral immer etwas Subjektives ist, versucht das Rechtssystem, objektive und für alle gültige Regeln umzusetzen. Im Rechtssystem geht es insofern um die Form, nicht um den Inhalt. Da Moral ein Inhalt ist, müssen Recht und Moral strikt voneinander getrennt sein. Konkret resultiert daraus für die Strafverteidigerinnen die Notwendigkeit, jeden Verdächtigen gleich gut zu verteidigen, egal ob er oder sie schuldig oder unschuldig ist – so ist das Gesetz, so sind die Regeln, so ist der Rechtsstaat. Gewissermaßen und vor allem auch im eigenen Selbstverständnis, wahren Strafverteidiger*innen, indem sie die Rechtsstaatlichkeit wahren, gleichsam auch die Demokratie. So sehen sie sich selbst insbesondere als Gegengewicht zu einem mit mehr Ressourcen ausgestatteten Staat (und nicht selten auch öffentlicher Meinung).

Solche brisanten Fälle wie ihn Seyma hatte, verhandelt man allerdings normalerweise, da waren sich alle drei interviewten Strafverteidigerinnen einig, erst nach vielen Jahren Berufserfahrung – eben um die persönlichen Empfindungen, und hier geht es allem voran um Ehrgeiz und Eitelkeit, klar vom Fall trennen zu können. Am Anfang der Berufslaufbahn stehen in der Regel eher Fälle über Betriebskostenabrechnungen und Bobbycar-Hupen. Nichtsdestotrotz sind es eben diese herausfordernden Fälle, die die gesellschaftlichen Grundfragen berühren. So kreisten die drei Gespräche immer wieder um das Thema des Menschenbildes. Denn nur mit einem Verständnis vom Menschen als im Grunde gut, lässt sich dieser Beruf ausüben und jede Person gleich gut verteidigen. Was hinter einer Tat steht, das ist selten diese Tat allein – kein Mensch ist als Verbrecher geboren, sondern die Umwelt hat ihn zu dem gemacht, was sie oder er ist. Wo beginnt also die Verantwortung – des Einzelnen, der Gesellschaft? Und was bedeutet das für ein Verständnis von Gerechtigkeit? Strafverteidungsfälle sind selten nur schwarz-weiß, was es spannend und komplex zugleich macht. Die Haltung der Strafverteidigerinnen, frei von Gewissensbissen zu sein, resultiert gerade aus der Erfahrung dieser Komplexität. Und aus der Bescheidenheit dem eigenen Urteil gegenüber: Aus dieser Perspektive ist es nur logisch, dass alle drei froh sind, keine Richter zu sein.

Elise Schobeß

Drei Seymas, drei Ausdrucksweisen –
Der Komponist Samuel Penderbayne über den musikalischen Entstehungsprozess

Die Kurzgeschichte SUBOTNIK durfte ich im Rahmen des Berliner Opernpreises lesen und sofort wurde mir klar, dass es sich um einen tollen Stoff für ein Musiktheater handelt. Ausschlaggebend war die Figur Seyma: Jemand, die genauso viel mit sich selbst als auch mit einer komplexen Gesellschaft aus schwammiger Moral, manchmal unbefriedigendem Recht und herzzerbrechenden Prozessen der Justiz kämpft. Die Handlung von Subotnik könnte auch eine große Bühne vertragen, aber als Künstler wollte ich weniger ein allgemeines Pathos des Menschenleids ausdrucken, sondern einen tiefen, intimen Blick in die Seele einer Person werfen, sodass wir als Publikum selber in ihre kriselnde Fragestellung kommen: Wie wollen wir Moral, Recht und Justiz gestalten? Wie ist das für 80 Millionen Menschen diverser Hintergründe und Identitäten überhaupt möglich? Welche Kompromisse müssen wir entgegen nehmen? Wie kommt ein Individuum mit einem System zurecht, das die Einzelfälle zugunsten der Grundprinzipien kaum berücksichtigen kann?

Für das Musiktheater interessieren mich keine Antworten auf solche Fragen, sondern die zweifelnden Gefühle, die existentiellen Gedankenkreise, die innerlichen Dialoge und Debatten. Und Seyma ist ein nährstoffreiches Bild für solche Szenen. So habe ich zusammen mit Theresa von Halle ein Musiktheater konzipiert, das sich auf drei Facetten der Figur basiert: Ihr signifikanter Intellekt, der durch eine pfiffige Schauspielerin dargestellt wird, ihre raue Emotion, die durch eine kraftvolle Opernsängerin artikuliert wird, und ihr nicht-sprachliches, körperliches Empfinden, das durch die Musik einer Pianistin (samt einem elektroakustischen Looping-Gerät) die Atmosphären und Stimmungen des Werkes unterfüttern.
Wir haben uns in der Besetzung auf diese drei Performerinnen radikal begrenzt, um die ästhetischen Möglichkeiten eines Mikro-Musiktheaters entlang der Suche nach einer möglichst großen Intensität nach innen zu erforschen. Kann eine einzige Figur so intensiv sein wie eine ganze Stadt? Kann ein durchschnittlicher Raum so viel zeigen wie eine ganze Bühne?
So gestaltete sich der Prozess des Komponierens rund um die musikalischen Möglichkeiten einer Konstellation ohne Trennung zwischen Musikerinnen und Darstellerinnen. Alle “Seymas” singen, schauspielern und spielen Klavier, um Kammermusik und -spiel “mit sich selbst” zu ermöglichen, so wie die Figur Seyma mit sich kämpft und in ihrem Büro verschiedene Situationen des kriminellen Falles ausspielt. Die Musik ist mal lyrisch, gar “operatisch”, also mit Gesang und Klavier. Manchmal entwickelt sie sich aber auch aus den Rhythmen eines Aktenordners, aus Tonfällen der Worte innerhalb einer Schauspielszene, aus dem Stampfen am Bodens und aus verrückten Nebengedanken, die zwischen Summen, Singen, Sprechen und Flüstern zu verstehen sind.

Samuel Penderbayne

RADIKAL. BEWEGEND. SCHÖN.
Der Wettbewerb, der mehr ist als ein Wettbewerb

Radikal-bewegend-schön! So soll das Musiktheater sein, zu dem NEUKÖLLNER OPER und GASAG seit 1997 unter dem Titel Berliner Opernpreis Komponistinnen aus ganz Europa zur Produktion eines halbstündigen Musiktheaters einladen – auf Kosten der Preisgeber mit Uraufführungsvorstellungen in Berlin. Hier erhalten Komponistinnen und Kreativteams die Möglichkeit, ihre Konzepte, Visionen und Fähigkeiten in der Praxis auszuprobieren, begleitet und beraten von der Neuköllner Oper, ihren Referentinnen und der Jury. Beim Wettbewerb des Jahres 2020/22 (pandemiebedingt auf Juni 2022 verschoben) präsentierten die beiden Finalistinnen-Teams des Berliner Opernpreises ihre Werke: die Entwicklung, Komposition und Inszenierung je eines halbstündigen Musiktheaters, inspiriert von zwei Kurzgeschichten des vieldiskutierten Autors und Strafverteidigers Ferdinand von Schirach: Ein hellblauer Tag (Team Jelena Vuksanovic/Andys Skordis) und Subotnik (Team Theresa von Halle/Samuel Penderbayne).
Der Wettbewerb wurde zusätzlich durch die Bundeszentrale für politische Bildung und das Theater Freiburg unterstützt.

Andreas Altenhof

Beteiligte

BIOGRAFIEN

ferdinand von Schirach | literarische vorlage

Der SPIEGEL nennt ihn einen »großartigen Erzähler«, die NEW YORK TIMES einen »außergewöhnlichen Stilisten«, der britische INDEPENDENT vergleicht ihn mit Kafka und Kleist. Ferdinand von Schirachs Erzählungsbände »Verbrechen« und »Schuld« und seine Romane »Der Fall Collini« und »Tabu« wurden zu millionenfach verkauften internationalen Bestsellern, die bisher in mehr als 35 Ländern erschienen sind. Schirach wurde mit mehreren – auch internationalen – Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kleist-Preis. Seinen Erfolg erklärt die französische LIBERATION so: „Schirachs Meisterleistung ist, uns zu zeigen, dass – egal wie monströs dessen Taten zunächst scheinen mögen – ein Mensch doch immer ein Mensch ist.“ Ferdinand von Schirach lebt in Berlin.

SAMUEL PENDERBAYNE | KOMPOSITION

© Blasereit

Sam Penderbayne wurde in Canberra, Australien geboren. Seit der Uraufführung seiner ersten abendfüllenden Oper I.th.Ak.A. an der Hamburger Staatsoper folgten weitere Opernaufträge für das Opernhaus Zürich, die Deutsche Oper Berlin, die Komische Oper Berlin, das Luzerner Theater (Sparte: Oper), das Musiktheater Aalto, die Neuköllner Oper Berlin, die Deutsche Oper am Rhein (Duisburg/Düsseldorf) sowie ein zweiter Auftrag der Hamburger Staatsoper. In den letzten Jahren entwickelte er ein Alleinstellungsmerkmal des Komponierens für junges Publikum. So wurde seine erste Kinderoper Die Schneekönigin über einhundert Mal in mehreren Staatsopernhäusern in Deutschland und der Schweiz gespielt.

Theresa VON HALLE | LIBRETTO, REGIE

Portrait von Theresa von Halle
© Adam Markowski

Theresa von Halle studierte zunächst Oboe, bevor sie als Regisseurin neue Konzertformate entwickelte und mehrmals bei Christoph Marthaler assistierte. Sie arbeitete als Regisseurin an verschiedenen Opernhäusern u.a. Oper Köln, Staatsoper Hannover, Deutsche Oper Berlin, ITZ Tübingen, Theater Lüneburg und setzte eine Vielzahl großformatigen Formaten um, wie z.B. Stadtteil macht Oper! mit der Kammerakademie Potsdam.

Theresa von Halle leitet gemeinsam mit Elise Schobeß seit der Spielzeit 23/24 das UFO, die mobile Spielstätte der Deutschen Oper am Rhein. 

AMELIE HENSEL | BÜHNE & KOSTÜM

Portraitfoto von Amelie Hensel
© Blasereit

Amelie Hensel ist eine Hamburger Theaterdesignerin. Sie zeichnet verantwortlich für das Ausstattungs- und Lichtkonzept von Subotnik. Ihre Arbeiten reichen von partizipativen Projekten über Musiktheater- und Sprechtheaterproduktionen. Zuletzt Ginpuin im Theater Wiesbaden (Regie: Frances van Boeckel), die Bremer Stadtmusikanten an der Oper Köln (Regie: Theresa von Halle) und Shut Up im Theater Wilhelmshaven (Regie: Frances van Boeckel). Mit der Gründungsversammlung eines Klimaparlaments sämtlicher Wesen und Unwesen (erstmals 2020 auf Kampnagel) hält sie zusammen mit Steffen Lars Popp, Judith Henning, Christoph Rothmeier und Annette Haunschild theatrale Sitzungen ab, die zu mehr Klimagerechtigkeit führen sollen. 2021 und 2022 haben sie dafür den Innovationspreis des Fonds Soziokultur und den Nachhaltigkeitspreis der RENN Nord erhalten.

ELISE SCHOBEß | DRAMATURGIE

© Philipp Ottendörfer

Elise Schobeß studierte Musikwissenschaften, Politikwissenschaften und Dramaturgie und forschte anschließend in Hamburg im Rahmen einer künstlerischen Promotion über Enthierarchisierungsstrategien im Musiktheater.

Als Produktionsdramaturgin war sie in den letzten Jahren an verschiedenen Spielstätten tätig, u.a. Theater Bonn, Opéra National de Montpellier, Kunstfest Weimar oder Steirischer Herbst Graz. Elise Schobeß ist Alumna der Studienstiftung des deutschen Volkes sowie der Akademie Musiktheater heute 2015-17. Mit ihrem Team war sie Preisträgerin beim internationalen Musiktheaterwettbewerb Ring Award 20/21. Seit August 2023 leitet sie gemeinsam mit Theresa von Halle das UFO, die mobile Spielstätte der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg, mit dem Schwerpunkt auf partizipativem Musiktheater.

Franziska Junge | SEYMA, SCHAUSPIEL

Portraitfoto von Franziska Junge
© Jeanne Degraa

Franziska Junge wurde 2006 während Ihres Schauspielstudiums an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig von Claus Peymann an das Berliner Ensemble engagiert. 2009 folgte sie Oliver Reeses Angebot ans Schauspiel Frankfurt, wo sie u.a. unter Andreas Kriegenburg, Christopher Rüping, Sebastian Hartmann, Hans op de Beeck und Rainald Grebe spielte. Seit 2013 arbeitet sie regelmäßig für Film und Fernsehen und spielte u.a. in Tatort-Folgen, u.a. in Das Haus am Ende der Straße, Es lebe der Tod, Erbarmen. Zu spät, Parasomnia und Gefangen und mit dem deutschen Fernsehpreis ausgezeichnete Serie Para – Wir sind King. Als diplomierte Sängerin ist sie außerdem in der NKO-Produktion SUBOTNIK zu sehen und im Konzert Hirngespinste // Pipedreams von Uwe Dierksen. Sie wohnt in Berlin.

Chiara Ducomble | SEYMA, MEZZOSOPRAN

Portraitfoto von
© The Elderwood Photography

Die belgische Mezzosopranistin Chiara Ducomble war 23/24 Mitglied des Opernstudios am Theater Bielefeld. Zuvor sang sie als 4. Engel in der UA von S. Litwins Mockingpott am Staatstheater Braunschweig. Sie interpretierte in deutschen Erstaufführungen die Rollen der Nada in A. Sokolovics Svadba sowie Penelope in Leinen aus Smyrna von E. Rushton, und weiter u.a. den kleinen Araber in Juliette von B. Martinu und die Titelrolle in Giulio Cesare von G. F. Händel. Sie studiert im Master bei Prof. G. Pelker an der Hmtm Hannover. Liedunterricht bei J. P. Schulze sowie Meisterkurse mit S. Grenberg, C. Barainsky, U. Eisenlohr, I. Danz, P. Kooij und P. Berne ergänzen ihr Schaffen. Sie widmet sich auch dem Lied und neuen Konzertformen. 2022 gewann sie den ersten Preis beim Liedwettbewerb Vocallis.

Henriette Zahn | SEYMA, PIANO

Henriette Zahn ist Pianistin mit Schwerpunkt Kammermusik und Liedgestaltung.
Nach einem abgeschlossenen Medizinstudium sowie Klavierstudien an den Musikhochschulen München und Lübeck schloss sie 2020 ihr Studium in der
Liedklasse von Professor Wolfram Rieger an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“, Berlin, ab. Henriette konzertierte mit Sänger*innen wie Tareq Nazmi, Pia Davila, Genevieve Tschumi , Sönke Tams Freier oder Julian Prégardien. Im Klavierduo mit der Pianistin Anna Buchberger trat sie u.a. bei den Salzburger Festspielen oder im Münchner Herkulessaal auf und brachte mit dem Württembergischen Kammerorchester die Kammerorchesterversion von Bruckners 7. Symphonie zur Aufführung. Gemeinsam mit Samuel
Penderbayne hat sie das NORDLIED-Festival gegründet, ein Kunstliedfestival, welches 2021 in Hamburg Premiere feierte.

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