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die „rosa Gefahr“ oder wenn Frauen Vorbilder suchen

Im Jahr 1913 gewann Lili Boulanger als erste Frau den Prix de Rome im Bereich Komposition. Der Weg dahin war nicht leicht:

Ihr Leben war von chronischen Schmerzen geprägt. Den ersten Versuch, den Prix de Rome zu erlangen, im Jahr 1912 musste sie aufgrund eines schweren Krankheitsfalls abbrechen. Den zweiten Versuch 1913 konnte sie fertigstellen, weil sie einem Mitbewerber die Noten diktierte, als sie vor Schwäche nicht mehr schreiben konnte.

Aber nicht nur ihr Körper erschwerte ihr ihre Berufung als „weiblicher Komponist“, wie sich selbst nannte. Auch die gesellschaftlichen Bedingungen stellten Hürden für ihr Schaffen.

Damit kein Irrtum aufkommt: Der Sieg ist hart verdient.“, schrieb Emile Vuillermoz für die Zeitschrift Musica 1913. „Es war nicht so, dass die Juroren ihr ritterlich den ersten Platz überließen. Im Gegenteil, sie verfuhren mit dem 19-jährigen Mädchen sogar noch strenger als mit den übrigen Bewerbern. Die Frauenfeindlichkeit der Jury war bekannt. Der Eintritt einer Eva in das irdische Paradies der Villa Medici wurde von gewissen Patriarchen als totale Katastrophe gefürchtet.

Viele von Lilis männlichen Mitbewerbern hatten sich zu dem Zeitpunkt schon fünf- oder gar siebenmal beworben und wurden langsam unruhig ob der Gefährdung ihrer Chancen, wie Vuillermoz die Prüfungssituation des Prix de Rome 1913 beschrieb: „Wie Jockeys über Hals und Nacken ihrer Pferde gebeugt, saßen sie am Klavier als kühne Komponisten, gaben den Begleitern Sporen und fuchtelten aufgeregt und mit dramatischem Gesichtsausdruck in Richtung der Interpreten.“

Lili dagegen verbreitete Ruhe und Klarheit, agierte „aufmerksam und liebevoll zusammen mit ihrer Schwester, die am Klavier saß“ und mit Vuillermoz Worten „spürten die Zuhörer etwas von der Erhabenheit des ewig Weiblichen“.

Die Debatte um „das Weibliche“ und „das Männliche“ im Komponieren hat eine jahrhundertelange Tradition – in der den Frauen die Fähigkeit zum Komponieren zumeist kleingeredet oder abgesprochen wurde, gut erkennbar am Beispiel Fanny Hensel. Sie hatte eine ebenso qualifizierte musikalische Ausbildung inklusive Kompositionsunterricht erhalten wie ihr jüngerer Bruder Felix Mendelssohn. Ihr Vater legte ihr jedoch nahe, dass die Musik für sie „stets nur Zierde, niemals Grundbasis“ ihres „Seins und Tuns“ sein solle, und appellierte schließlich an ihre Gutmütigkeit und Vernunft, denn „nur das Weibliche ziert die Frauen“.

Während sogar noch 1961 der Präsident des Mozarteum in Salzburg infrage stellt, ob Frauen „ jener Blick in den Abgrund erlaubt ist, den Männer wie Beethoven getan haben, um von den letzten Dingen aussagen zu können […] “, rückte das Musikschaffen von Frauen spätestens infolge der 2. Welle der Frauenbewegung der 1970er Jahre in den Fokus der Musikgeschichtsforschung, erkannte und benannte Komponistinnen und ihre Werke.

Wie viel hat sich denn nun aber geändert im 21. Jahrhundert?

Die Zahlen sprechen für sich. Zwar hat sich die Zahl der Top-50-Komponistinnen zwischen 2016 und 2019 fast verdoppelt – von 7 auf 13. Die Gesamtbilanz bleibt hingegen überschaubar:

An Vorbildern für komponierende Mädchen fehlt es schon im Schulunterricht fast komplett. 30 Frauen dringen inzwischen langsam in die Konzertsäle ein, darunter Clara Schumann, Lili Boulanger und Ethel Smyth. 13 % der weltweit von großen Orchestern aufgeführten zeitgenössischen Werke stammen von Frauen. Während es in Schweden 37% und in Großbritannien 17% sind, sind in Deutschland nur 5% der großen Konzertstücke von Frauen geschrieben.

Lili Boulanger hat sich nie von feministischen Strömungen instrumentalisieren lassen, kämpfte nicht Seite an Seite der ersten Frauenbewegung de Suffragetten wie Ethel Smyth und doch kann sie als wichtiger Einfluss auf das musikalische Arbeiten von Frauen gesehen werden. In nur 7 Jahren schaffte sie ein Oeuvre von 50 Werken, die bis heute immer wieder erklingen. Sie lebte das Komponieren als „weiblicher Komponist“ – konsequent bis zum letzten Atemzug.

Lassen Sie uns heute, am internationalen Frauentag, all jene Komponist*innen feiern, die trotz all der sexistischen Diskriminierung, die ihnen auch heute noch begegnet, großartige Musik in der Welt hinterlassen.


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