Tankred Dorst wurde am 19. Dezember 1925 in Oberlind bei Sonneberg in Thüringen als Sohn eines Fabrikanten geboren. „Ich bin geboren in einem Dorf am Thüringer Wald, auf der fränkischen Seite …“, wird er in einer oft zitierten Vorstellungsrede für die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (1978) sagen und damit ein Motiv anklingen lassen, das in seinem Schaffen immer wieder eine zentrale Rolle annimmt. Nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1947 studierte er zunächst Germanistik und Theaterwissenschaften. Den Weg zum Theater fand er über eine studentische Münchner Marionettenbühne, für die er seine ersten Stücke schrieb.
Dort traf er auch seiner Lebensgefährtin und späteren Frau Ursula Ehler, mit der er seit Anfang der 70er Jahre künstlerisch eng zusammenarbeitete und die ihm auch bei allen Regiearbeiten – wie bei „Ich- Feuerbach“ (1987) oder am Ring in Bayreuth (2006) – zur Seite stand. Bereits 1960 hatte die lange, fruchtbare Zusammenarbeit mit Peter Zadek begonnen, aus der die Verfilmung seines frühen Erfolgs „Die Kurve“ (u.a. mit Klaus Kinski und Helmut Qualtinger) hervorging wie weitere Fernsehfilme ( „Rotmord“ , „Der Pott“ u.a.)
In seiner Arbeit entzog sich Dorst stets der Einordnung in feste Kategorien. Er griff mythische oder historische Stoffe auf, schrieb Märchenstücke und Parabeln und reagierte – auf seine Weise – auf aktuelle politische Entwicklungen. Zu seinen bekanntesten Werken neben Merlin (1981) zählen das Revolutionsdrama Toller (1968), die Trilogie Auf dem Chimborazo/Die Villa/Heinrich oder Die Schmerzen der Fantasie (1975-1985) sowie die Stücke Karlos (1990) und Herr Paul (1994).
1999 wurde in München das unter dem Eindruck des Bosnienkrieges geschriebene Stück Große Szene am Fluss uraufgeführt. Im Februar 2005 feierte der Dramatiker mit der Uraufführung seines Dramas Wüste in Dortmund einen weiteren Erfolg. „Ich selbst schwanke zwischen Optimismus und Pessimismus“, sagte Dorst einmal. „Jeder Mensch hat eine persönliche Utopie, wie das Leben sein sollte, und erlebt dann eine Enttäuschung, dass es nicht so ist.
Wie stark Dorst das Theater der Nachkriegs- und Neufindungszeit der Deutschen geprägt hat, zeigt sich auch an den Künstlern, die es in die Welt getragen haben: Peter Palitzsch, Patrice Chéreau, Robert Wilson, Hans Neuenfels, Dieter Dorn, Jürgen Flimm, Wilfried Minks, auch Harald Clemen, Jossi Wieler, David Mouchtar-Samorai und viele andere. Auf Initiative von Zadek entstand der erwähnte Merlin, sein Opus magnum. Das Werk über den Verlust der großen Utopien, ungestrichen neun Stunden lang, haben nach dem Fall der Mauer über 20 Regisseure auf der ganzen Welt inszeniert.
Dem mit zahlreichen Preisen Geehrten – zuletzt 2012 mit dem FAUST-Preis – war das Stückeschreiben allein zu wenig, neben den Filmen und Libretti (u. a. wurde 2011 eine Vertonung seines Parsifal in Hanoi uraufgeführt) war er wie erwähnt auch als Schauspiel-Regisseur tätig, 80jährig gab er sein Debüt als Opernregisseur mit Wagners Ring in Bayreuth. Und er war Entdecker und Förderer: Auf Initiative von Manfred Beilharz waren Tankred Dorst und Ursula Ehler 22 Jahre lang Reisende und Kuratoren für die „Neuen Stücke aus Europa“. Immer wieder wurde Dorst auch als Dozent eingeladen, u. a. an die hiesige UdK – was immer besonders war bei einem Autor, der sein Leben lang von sich sagte: „Nicht der Autor sucht sich die Geschichte, sondern die Geschichte sich den Autor.“ Tankred Dorst starb 2017.
Tankred Dorst/Ursula Ehler (c) Heinz Hauser